Versammlung im Ostwald – aus dem Leben der Autorin (oder: Was machen die Protagonisten, wenn sie sich unbeobachtet fühlen?)
Ihr glaubt nicht, was mir heute passiert ist …
Ich wollte mich an das Manuskript zu Johanniskind 3 setzen – schließlich ist einer meiner Protagonisten grad im Kerker und ich muss einen Weg finden, um ihn dort herauszuholen – aber:
Sie waren alle weg! Nicht einer war da, wo ich ihn zurückgelassen hatte!
Ihr könnt euch sicher die Panik vorstellen, die sich in mir ausbreitete. Ich machte mich also auf den Weg, durchsuchte die letzten Seiten, blätterte vor, um einen Hinweis zu finden … und endlich, ich hatte die Hoffnung fast aufgegeben, stieß ich auf die ersten Anhaltspunkte.
Ich folgte ihnen und fand eine verborgene Lichtung im Ostwald, weit entfernt vom magischen Steinkreis. Da waren sie alle: Die Menschen, Zworms, Gnome, Feuerelfen, Zwerge und Drachen. Ich staunte nicht schlecht, als ich sogar einen Thursen und einen Grottenolm erkannte – was zum Henker ging hier vor?
Ich schlich mich an und versteckte mich hinter einem Baum, der dick genug war, mich vollständig zu verbergen (nicht einfach, so einen zu finden). Außerdem musste er nahe genug an meinen Protagonisten sein, damit ich verstand, was sie zu besprechen hatten. Vielleicht eröffneten sich mir so noch einige Ideen für mein Buch.
Ich stand also hinter dem Baum und beobachtete, lauschte und staunte. Feurius, mein heißgeliebter König der Feuerelfen, flatterte in seiner Lichtkugel unruhig zwischen den anderen herum und sprühte Funken. Er zischte und brizzelte dabei so laut, dass ich Probleme hatte, ihn zu verstehen. Gerade als ich überlegte, näher heranzuschleichen, brüllte Fidibus, oberster Drache der Lichtwelt, markerschütternd, sodass die umstehenden Bäume vor Schreck ihre Blätter abwarfen.
„Jetzt hör endlich mit deinem bescheuerten Funkenflug auf! Was bringt es, wenn du hier alles in Brand steckst? Nichts! Damit helfen wir unserer Autorin auch nicht weiter!“
„Ach nein? Womit denn? Im Gegensatz zu euch mache ich mir wenigstens Gedanken und es regt mich auf, dass wir nicht weiterkommen! Da ist es normal, dass sich meine innere Flamme entzündet!“, giftete Feurius zurück.
„Jetzt mach mal halblang, du explodierendes Glühwürmchen! Du tust so, als wärest du der Einzige, der sich Sorgen macht! Wozu, glaubst du, hab ich euch hergebeten? Damit wir unsere Kräfte bündeln! Spuck statt Feuer lieber deine Ideen aus, falls du welche hast!“
Der fingerlange Feurius baute sich vor dem riesigen Blaudrachen auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Explodierendes was? Ich werd dir helfen! Mach nur weiter so und du wirst sehen, was du davon hast!“
Flammen schlugen aus seinen feuerroten Haaren und der ekelerregende Geruch nach verbranntem Horn verbreitete sich über der Lichtung. Ein Schwall Wasser traf den König der Feuerelfen, brachte sein Feuer zum Erlöschen und ließ ihn patschnass und nach Luft schnappend zurück.
Rekja, das orangefarbene Drachenmädchen, hielt einen Krug Wasser (den musste sie wohl herbeigezaubert haben, denn es gab keinen Bach auf der Lichtung), und kicherte.
„Abgekühlt? Dann erzähl, was dir eingefallen ist“, forderte sie.
Feurius spuckte und prustete, schüttelte sich und ballte die Faust, stieß sie in Rekjas Richtung.
„Drachen!“, fauchte er. „Jeder denkt, ihr seid furchterregend und majestätisch, ihr werdet geachtet und gefürchtet. Man schreibt euch fantastische Dinge zu … aber in Wahrheit …“
„Pass auf, was du sagst!“, grollte Fidibus und kniff die goldenen Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.
„Sonst was? Verwandelst du mich? Hast du vergessen, dass wir Nachfahren der Drachen sind? Willst du deine eigene Rasse verzaubern?“ Feurius verzog das Gesicht zu einem hämischen Grinsen, als der Drache missbilligend schnaubte.
Gaax, der kleine Zworm, schien genug von dem Hin und Her zu haben. Mit erhobenen Hände trat er zu den Streithähnen und schüttelte den kartoffelförmigen Kopf.
„Man sollte meinen, ihr würdet euch eurem Alter entsprechend benehmen, aber ihr kabbelt euch wie kleine Kinder.“
Der Feuerelf betrachtete den Freund seines Neffen Flignis mürrisch. „Fängst du jetzt auch noch an, uns zu beleidigen?“
Gaax zwirbelte die karottenroten Haarbüschel, die anstelle der Ohren rechts und links aus seinem Kopf wuchsen.
„Das würde mir im Traum nicht einfallen. Ich möchte nur, dass ihr euch auf den Grund unseres Treffens besinnt!“
„Tun wir doch“, knurrte Feurius. „Wenn ihr mich endlich ausreden lassen würdet …“
Gaax wechselte einen schnellen Blick mit den Drachen und zuckte mit den Schultern.
„Dann erzähl“, forderte er.
Feurius sah ihn einen Moment mit zusammengezogenen Brauen an, dann warf er sich in die Brust und flatterte in die Mitte der Lichtung, sodass ihn jeder sehen konnte. Neugierig beugte ich mich vor. Was hatte er zu sagen? Ich war nicht ein Stück schlauer als bei meiner Ankunft, aber wenn ich hinter dem Baum bliebe, würde ich nicht mehr verstehen, was sie besprachen.
Ich machte einen Schritt auf die Versammlung zu, noch einen und noch einen. In meiner Aufregung achtete ich nicht darauf, wo ich hintrat und zuckte erschrocken zusammen, als ein Ast unter meinen Füßen mit lautem Krachen zerbrach.
Schwärze umfing mich … und das Nächste, an das ich mich erinnere: Ich sitze vor meinem Laptop, das geöffnete Manuskript zu Johanniskind 3 vor mir.
Verdammt!