Chez Albert

 

Annabelle und Albert führten seit Jahren ein kleines exklusives Restaurant. Für die Gäste gab es Gerichte nur aus den allerfrischesten Zutaten und, als besondere Spezialität, einmal die Woche ein wunderbares Kaninchenragout nach einem Rezept von Annabelles italienischer Großmutter.

Albert sorgte dafür, dass es den kleinen Tierchen in dem luxuriösen Kaninchenstall im Garten an nichts fehlte, bevor er sie schließlich schlachtete und abzog, damit Annabelle sie zu ihrem berühmten ‚Coniglio in humido‘ verarbeiten konnte.

Die Gäste kamen gerne, wurden zuvorkommend bedient, man fühlte sich wohl. Wie es aber in der Küche zuging, davon hatten sie keinen blassen Schimmer.

Denn zwar war Annabelle eine begnadete Köchin, aber sie hatte eine nervtötende Eigenschaft: Sie redete. Ständig. Wie ein Wasserfall. Und ohne Luft zu holen.

Albert versuchte, ihr Gerede zu ignorieren. Wäre ihm dies im Laufe der Jahre nicht wunderbar gelungen, wer weiß, ob die Situation nicht schon früher eskaliert wäre.

Wenn Annabelle kochte – und redete – verschwand Albert in den Garten, zu den Kaninchen. Oder er stürzte sich in die Schöpfung diverser, göttlicher Nachspeisen. Bis sie ihn rief, damit er die Beilagen zubereitete und die Teller anrichtete.

Denn er war unübertroffen in der Zubereitung phantasievoller, raffiniert abgeschmeckter Beilagen. Sein Gemüseauflauf mit frischen Kräutern aus dem eigenen Garten war ebenso ein Geheimtipp, wie Annabelles Kaninchenragout.

So ging es über all die Jahre gut, man hatte sich arrangiert. Annabelle redete und Albert stellte die Ohren auf Durchzug.

Doch eines Tages – Albert hatte schlecht geschlafen, da er seine Trauer über ein vorzeitig verstorbenes Kaninchen im Alkohol ertränkt hatte – nahm das Schicksal seinen Lauf.

Freudestrahlend betrat Annabelle die Küche, ihr Mundwerk sprudelte wie ein Wasserfall. Albert saß vergrätzt und verkatert auf einem Hocker und betrachtete traurig das Beil, mit dem er den Kaninchen sonst den Garaus machte.

„Albert, welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen? Was machen deine Hoppelhasen? Sind sie bereit für ein Bad in meinem Sugo? Ich muss dir später unbedingt eine große Neuigkeit erzählen. Was ist? Worauf wartest Du? Himmel, zieh doch nicht so ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter! Schau hinaus, das Leben ist so schön!“

So ging es weiter und weiter. Während Annabelle ohne Punkt und Komma redete, schärfte Albert das Beil. Annabelle lachte ihn aus, weil er um ein Kaninchen trauerte, das sowieso in ihrem Topf gelandet wäre. Albert kochte innerlich. Immer kräftiger zog er das Beil ab,  immer wütender wurden seine Bewegungen.

Und als Annabelle dann auch noch lautstark ein Liebeslied trällerte, sah er rot.

Mit einem wütenden Aufschrei hob er das Beil und stürzte sich auf seine Kollegin.

An den folgenden Wochenenden genossen die Gäste des kleinen Restaurants eine neue Spezialität des Hauses – ‚Spezzatino in humido‘, umgeben von einem Bett erlesener Gartenkräuter.

Niemand vermisste Annabelles berühmtes ‚Coniglio in humido‘.

Und niemandem fiel auf, dass der Garten hinter dem Restaurant in ein Kaninchenfreigehege umgebaut worden war.

 

(c) Silvia Nagels 2016

 

 

Chez Albert
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2 Gedanken zu „Chez Albert

  • 11. Juli 2016 bei 3:53
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    Hallo Silvia
    Es war ein Vergnügen, mich durch Deine HP zu lesen. Und wo bin ich kleben geblieben? Genau, bei Chez Albert. Ich könnte die Geschichte immer wieder lesen. Sie ist einfach köstlich. Mit Freude hinterlasse ich Dir noch einen Montagsgruss und ach ja… grüss Paul gaaaanz lieb von mir gell.

    Liebe Grüsse
    Alex

    Antwort
    • 11. Juli 2016 bei 10:44
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      Liebe Alex, vielen Dank für Deinen Besuch. Dass ‚Chez Albert‘ Dir gefällt, hätte ich mir denken können 😉 Paul lässt Dich ebenfalls grüßen. Ich glaube, meine Homepage schreit noch nach einer Extra-Seite über die Vampire und Paul 😉

      Antwort

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